Zahlen, bitte! Ernster Unfall Stufe 5 – Das Atomunglück von Three Mile Island (2024)

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Am 28. März 1979 kam es im Atomkraftwerk Three Mile Island nahe der Stadt Harrisburg (US-Bundesstaat Pennsylvania) zu einem schweren Unfall. Die Kühlpumpen im Block 2 des damals hochmodernen Kernkraftwerkes schalteten nach der Fehlfunktion eines Sicherheitsventils ab, anstatt die Kernbrennstäbe zu kühlen.

Zum technischen Fehler kamen menschliche Fehler bei der Interpretation von Messdaten hinzu, sodass Kühlwasser unbemerkt entwich. Zwar wurde der Reaktorkern abgeschaltet, aber die Nachzerfallswärme konnte aufgrund des mangelnden Kühlmittels nicht mehr von den Brennstäben abgeführt werden. Durch den Ausfall der Kühlung und durch den unbemerkten Austritt von Kühlwasser stieg die Temperatur so stark an, dass es zu einer partiellen Kernschmelze kam.

Erst kurz nach dem Eintritt der Kernschmelze bemerkte ein Techniker das fehlerhafte Sicherheitsventil und konnte durch eine manuelle Schließung das Schlimmste verhindern. Kühlwasser wurde in die Kammer gepumpt. Einige radioaktiv verunreinigte Gase wurden in die Luft abgelassen und Kühlwasser in das Flusswasser rund um die Insel. Erst nach fünf Tagen konnte das Kühlsystem repariert und die Gefahr der Zerstörung des gesamten Kernkraftwerks eingedämmt werden.

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Zahlen, bitte! Ernster Unfall Stufe 5 – Das Atomunglück von Three Mile Island (2)

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Spät eingeleitete Evakuierungsmaßnahmen

Die Evakuierungsmaßnahmen verliefen zudem schleppend: Erst nach zwei Tagen begannen die Behörden damit, Schwangere und Kleinkinder zu evakuieren: Pennsylvanias Gouverneur Richard Lewis Thornburgh ordnete erst am 30. März 1979 die Schließung aller Schulen in einem Radius von 8 Kilometern um das Unglücksgelände an. Falschaussagen des Betreibers zerstörten zudem das Vertrauen in der Bevölkerung. Es dauerte bis zum Dezember 1993, ehe die Schäden gesichert und beseitigt wurden, doch die Belastungen sind nicht verschwunden.

Der Vorfall von Three Mile Island wurde auf der INES-Skala der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA als "Ernster Unfall" (Kategorie 5) eingestuft. Die so produzierte partielle Kernschmelze war einer der größten Unfälle in der friedlichen Nutzung der Atomkraft. Das Aufräumen dauerte über zwölf Jahre und die USA sowie viele andere Länder betrachteten die Kernenergie erstmals kritisch. Es gilt zudem als Initialzündung für die Popularität der Anti-Atomkraftbewegung.

Heute wird die stillgelegte Anlage allmählich abgebaut, obwohl der Betreiber eine Betriebsgenehmigung bis 2034 hat: Das AKW war seit 2014 nicht mehr konkurrenzfähig. Der Abriss der markanten Kühltürme ist für 2074 geplant, genau 100 Jahre nach Beginn der Bauarbeiten.

Kinofilm erhält durch Atomunfall Aktualität und Dramatik

Wenige Wochen vor der Kernschmelze erschien in den USA der Spielfilm Das China Syndrom. In ihm wird ein radioaktiver Störfall – und seine Vertuschung – von unerschrockenen Reportern aufgeklärt. Der Titel spielt auf die Theorie an, dass sich bei einem Reaktorunfall der Urankern durch die Erde bis nach China schmelzen könnte. Der mit Jane Fonda, Jack Lemmon und Michael Douglas prominent besetzte Film wird heute gerne als "Mischung aus Thriller, Melodram und Satire" bezeichnet, doch wirkte er besonders durch die Nachrichten und Gerüchte rund um den echten, ungleich größeren Störfall von Three Mile Island besonders eindringlich. Ein deutscher Filmkritiker sprach von einem "verfilmten AKW-Nee-Button". 2022 erschien zum Störfall in Three Mile Island die sehenswerte Netflix-Dokumentation Kernschmelze, in der Anwohner und ehemalige Mitarbeiter von ihren gesundheitlichen Problemen berichten.

Der Soziologe Ulrich Beck nahm den Störfall zum Anlass, um über die "Risikogesellschaft" zu forschen. Damit ist eine Gesellschaft gemeint, die von sich behauptet, mit Risiken umgehen zu können, das ab nicht wirklich kann. Sein Buch "Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne" erschien im Frühjahr 1986, fast gleichzeitig mit dem nächsten großen Atomunfall im Kernkraftwerk Tschernobyl, und wurde damit ein Riesenerfolg. Beck fand es seinerzeit überhaupt nicht gut, dass sein Buch damit "wie eine platte Beschreibung der Gegenwart" wirkt.

Atomunfall als popkultureller Einfluss

Kraftwerk, die deutschen Pioniere der Elektromusik, schufen mit "Radio-Aktivität" des gleichnamigen, 1975 veröffentlichten Albums zunächst einen Song, der eigentlich nur mit dem Titel spielt: Sowohl Hörfunk als auch Kernkraft thematisierten die Düsseldorfer darin wertungsfrei als Radio-Aktivität. Im Eindruck der schweren Atomunfälle änderten sie den Kontext mit der Zeit fundamental: Im 1991 erschienen Album The Mix, arrangierten sie einige Ihrer Songs neu und zeitgemäß. Einzig Radio-Aktivität erhielt bei der Wiederaufnahme einen zum Teil völlig neuen Text – Nun warnt der Song eindringlich vor Radioaktivität. Er beginnt mit der Aufzählung Orten von Atomunfällen: Sellafield, Harrisburg, Tschernobyl sowie Hiroshima als Stadt, die durch eine Atombombe zerstört wurde. Die Titelzeile heißt nun "Stoppe Radioaktivität". Und später "Strahlentod und Mutation – durch die schnelle Kernfusion". Bis heute ist die neue Version Teil ihres Bühnenprogramms.

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Das 2019 komplett abgeschaltete Three Mile Island ist auch heute noch radioaktiv, aber soll nach Angaben der US-amerikanischen Nuclear Regulatory Commission (NRC) nicht mehr gefährlich für Mensch und Umwelt sein. Daran gibt es Zweifel. Heute liegt Block 2 unter einer dicken Schicht Beton, doch die Aufarbeitung des Vorfalls bewegt noch immer die Menschen.

(mawi)

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